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Thaddäus Troll

Thaddäus Troll – das ist nicht nur der Verfasser des Bestsellers „Deutschland, deine Schwaben“ und des oberflächlich als Mundart-Theater eingeordneten, in Wirklichkeit neben seiner schwäbischen Sprachfülle aber auch sozialkritischen Stücks „Der Entaklemmer“, der Autor geschliffener Feuilletons, der als Theaterkritiker geschätzte Mitarbeiter zahlreicher Tageszeitungen, nein, er ist auch der kritische Beobachter der politischen Zeitläufte, der sich als wacher homo politicus in der Sozialdemokratischen Wählerinitiative engagierte. Der nachfolgende Text ist Teil einer Rede, die Thaddäus Troll 1972 im Rahmen des Kongresses „Muss Schule dumm machen? – Ziele und Voraussetzungen demokratischer Bildungsinhalte“ in Mannheim gehalten hat, eine Veranstaltung der Sozialdemokratischen Wählerinitiative.

Versuch über die Dummheit

Eine Voraussetzung für die Dummheit ist die mangelhafte Schulung des Verstands. Sport ist nichts anderes als die serienmäßige Ausübung lästiger Bewegungen, die uns aus dem Behagen reißt, das körperliche Trägheit bereitet. Sport verhindert jedoch eine Atrophie der Muskeln und vermag deshalb den Körper länger funktionsfähig zu halten. Genauso muss der Verstand trainiert werden, damit er funktionsfähig bleibt. Der geistig Bewegliche ist mehr gegen arteriosklerotische Verstockungen und Altersstumpfsinn gefeit als der geistig Träge. Hatte im Althochdeutschen "dumm" auch die Bedeutung von "taub", so entsprechen sich im Mittelhochdeutschen "dumm" gleich "stumpf" und "stumm". Dumm ist also nicht nur der, der nicht hören, nicht wahrnehmen will; dumm ist auch der, der sich nicht auszudrücken vermag, der nicht artikulieren kann, der unmündig ist, den man bevormunden muss. Ist der bevormundete Untertan ein Züchtungsobjekt des ausbeutenden Despoten, so sollte der mündige Bürger das Bildungssubjekt einer funktionierenden sozialen Demokratie sein. Der Stumme ist nicht fähig, seine Stimme als Wähler abzugeben. Um sich nicht zu übernehmen, übernimmt er vorgefasste Meinungen. Je unpräziser politische Dogmen formuliert werden, je mehr sie emotional aufgeladen werden, um so mehr haben sie Chancen, von der Dummheit für wahr genommen zu werden. Glaubensbekenntnisse werden von ihr eher akzeptiert als klargesteckte politische Ziele.
Die Dummheit begnügt sich damit, Worte hinzunehmen, statt sie beim Wort zu nehmen. Wie dumm von den Göttern, mit ihr selbst vergebens zu kämpfen, statt mit ihr Geschäfte zu machen! Handelswährung ist das mit Emotionen aufgeladene Klischee. Denn der Dumme gibt seine Stimme ab wie früher den Zehnten, wenn der Abt oder der Fürst heute auch eine andere Firmenbezeichnung hat. Der Dumme ist nach wie vor bereit, dem zu dienen, der von ihm profitiert; dass er dabei am Ende der Dumme ist, das ist ja sein Schicksal, und das ist von Gott gegeben. Der Dumme glaubt dem Etikett, zum Beispiel wenn es einen theologischen Zungenschlag hat - Namen von Weinlagen wie Kirchenstück, Altärchen, Klostergarten, Liebfrauenmilch verkaufen sich gut, weil sie vermuten lassen, dass sie Beschiss ausschließen, dass sich hinter frommen Namen auch im Keller Gottes Hand statt Süßreserve verbirgt.
Es gehört zu den Gewohnheiten der Dummheit, das Wort mit den propagierten Wertvorstellungen aufzunehmen, die ihm beigepackt worden sind. So denkt der unkritische Wortkonsument bei dem Adjektiv "christlich" nicht an die sozialen Forderungen der Bergpredigt; er denkt eher an den Bonus der Gnade und meint, die sei ohne Gegenleistung schon dem zugesprochen, der dem Begriff "christlich" rein verbal politisch zustimmt. Und christlich, so glaubt er, ist alles, was sich so nennt, und unchristlich, so folgert er, alles, was nicht den Namen Christi im Schilde führt. Das Wort "christlich", in einem Parteinamen profaniert, das war schon eine großartige Werbemasche, fast so gut wie "Klosterfrau Melissengeist". Christlich, das spricht und verspricht selbst dem Lauesten, der sich Christ zu nennen wagt. Das Wort "rot" demonstriert keine fröhliche, sondern eine Schreckfarbe, die sich spontan mit dem Begriff "Gefahr" verquicken lässt. Und bei dem Wort "sozial" denkt der politisch Erziehungsgeschädigte nicht an die christliche Verpflichtung, den Nächsten zu lieben; "Sozialisten", so holt er aus seinem programmierten Unterbewusstsein, das sind doch die Leute, die enteignen und sogar den Schnecken ihre Häuser wegnehmen wollen. Und bei dem Wort "Reformen" denkt er nur an die Gefahr, aus seinem bequemen Komfortsessel im Mittelpunkt der Welt aufgescheucht zu werden.
Wenn es gelänge, den künftigen Bürger zum Civis, nicht zum Bourgeois zu erziehen, auf dem Wege der Bildung den Gebrauch der Vernunft, die Aufklärung bis in die sprachlichen Klischees der landschaftlichen Gegebenheiten des letzten lauschigen Winkels, des hintersten stillen Tals zu tragen, die liebenswürdige Einfalt des Herzens in die nützlichere Einsicht des Verstandes umzumünzen und aus dem unmündigen Beistimmer jenen mündigen Bürger zu machen, der eigentlich Voraussetzung für die Wahlberechtigung sein müsste, dann wäre eine Hoffnung für die Demokratie geschaffen, die uns unsere politische Zukunft in besserem Licht sehen ließe.

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Aus: Das große Thaddäus Troll-Lesebuch
©: Vertrieb Thaddäus Troll

Wenn die närrische Zeit vorbei ist, müssen wir trotzdem nicht auf Narretes verzichten. Denn alle Jahre wieder folgt ihr die Zeit der Putznärrinnen und –narren, die dafür sorgen, dass wir uns überall wohl fühlen, wo sie wie narret gebohnert, gefegt, gefummelt, geklopft, gesaugt, gescheuert, geschrubbt, gewaschen und gewienert haben. In dem Buch „Thaddäus Trolls schwäbische Schimpfwörterei“ (Silberburg-Verlag, Tübingen), einer Sammlung schwäbischer Verbalinjurien vom „Affadackel“ bis zum „Zwetschger“, ist auch die „Putznärre“ vertreten, und im folgenden Text aus dem Jahr 1961 hat Thaddäus Troll ihrer Tätigkeit ein literarisches Denkmal gesetzt.

Ein sauberes Früchtchen hat Dreck am Stecken

Über Sauberkeit spricht man nicht, weil sie sich von selbst versteht. Sprechen wir also über die Sauberkeit.
Das dehnbare Wörtchen "sauber" stammt vermutlich ab vom lateinischen "sobrius", zu deutsch "nüchtern", "mäßig", "besonnen". Diese sprachliche Herkunft gereicht der Sauberkeit zwar zur Ehre, erklärt aber auch jene Prüderie, mit der sie feuilletonistischen Annäherungsversuchen begegnet. Die blank polierte Feder sträubt sich, derart amusische Tugenden zu preisen, und Pegasus stellt sich auf dem Weg zur Reinigungsanstalt so störrisch an, als lauere ihm dort das Werbefernsehen mit einer Kandare auf. Nur einmal, im Jahre 1865, hat es ein dichtender Regierungsrat bei ihr geschafft. Ihm verdanken wir das geflügelte Wort "So reinlich und so zweifelsohne!". Es stammt aus einem Poem, das er zum Stapellauf eines Fregattenschiffs verfasst hat, und sollte die preußischen Farben verherrlichen.
Die Sauberkeit ist eine Tochter der Zivilisation. An dieser Tatsache vermögen auch gewisse Plastiktäschchen für Waschutensilien nichts zu ändern, die den illegitimen und noch dazu ganz abscheulichen Namen Kulturbeutel führen. Sollte einmal ein Wettbewerb ausgeschrieben werden, in dem es darum geht, ihr ein Denkmal zu setzen, so wird sich die Sauberkeit mit breiten Hüften, schmalen Lippen und aufgepflanztem Scheuerbesen konterfeit finden. Unsinnlich und streng wie eine alte Jungfer, die anstatt nach Parfüm nach Bohnerwachs riecht, so stellen die Männer sie sich vor, nachdem es ihnen einmal beschieden war, ihren Frauen beim Hausputz zuzusehen. Der Anblick ist ja auch nicht leicht für ein empfindsames Gemüt. Den Teppichboden mit Schaum traktierend, zeigt die Angetraute wenig von jenem Charme, mit dem sie uns dereinst in ihre Netze zu ziehen wusste. Um nicht in Versuchung zu geraten, ihr etwa behilflich zu sein, empfiehlt es sich, solches Treiben als eine herausfordernde Show hinzustellen, welche Ruhe und Gemütlichkeit stört und den Ehefrieden gefährdet. Fensterputzen bezeichne man als spießig und Teppichsaugen als gymnastische Übung zum Zeitvertreib geistig Minderbemittelter. Der letzte Trumpf sei ein Dickens-Zitat: "Reinlichkeit kommt gleich nach der Gottseligkeit, aber es gibt Leute, die auch die Gottseligkeit unausstehlich machen."
Sosehr das Herstellen von Sauberkeit vor allem den Zuschauer strapaziert, so mag man das Resultat doch nicht missen. Dreck und Schlamperei erscheinen uns aus einer gewissen Entfernung zwar als malerisch, aber wir sind leider schon viel zu degeneriert, um uns noch darin wohl zu fühlen. Selbst der Bohemien unserer Tage pflegt seinen Sportzweisitzer auf Hochglanz zu wienern und seine blütenweißen Oberhemden täglich zu wechseln. Und während er mit Pinsel oder Feder lüstern im Kehricht stöbert und im einfachen Leben in einer andalusischen Zigeunerhöhle oder in einer türkischen Lehmklause höchstes Erdenglück zu wittern vorgibt, verbringt er seine Sommerferien in einem blitzblank geschrubbten Häuschen an der niederländischen Küste oder mietet sich auf der griechischen Insel Mykonos ein, die von ihren Bewohnern alljährlich zum Osterfest ein frisches weißes Kleid bekommt, so dass ihre Gemäuer heller strahlen als die sonnenbeschienenen Schaumkronen auf den Wellen der Ägäis. Es ist also ein Trugschluss zu glauben, dass den Reizen der Sauberkeit nur die Werbeleiter der Waschmittelindustrie verfallen, wenn sie auch die einzigen sind, die lautstark zu ihrem Lob in die Leier greifen. Die meisten Zeitgenossen haben ein intimes Verhältnis mit ihr, das sie aber nicht an die große Glocke hängen, sondern in verschämter Tiefstapelei eher ein wenig bemänteln.
Das hohe Ansehen der Sauberkeit offenbart sich am deutlichsten in der Art, wie wir im Sprachgebrauch mit ihr umgehen. Wir heischen einen sauberen Wein, wir preisen den Pianisten, der eine saubere Technik hat, und den Schuster, der sauber arbeitet. Von unseren Freunden erwarten wir menschliche Sauberkeit. Und wenn wir von einem sauberen Mädchen schwärmen, so heißt das nicht nur, dass die Maid sich den Hals wäscht und ihre Kammer so rein hält wie Faustens Gretchen, sondern dass sie adrett und hübsch anzusehen ist. Euch dünkt, besagte Person sei ein sauberes Früchtchen? Nun, da hätten wir auch noch die ironische Umkehrung, wie sie sich nur sehr fest geprägte Begriffe erlauben können. Schon im 17. Jahrhundert war jedermann klar, dass ein sauberes Früchtchen keine reine Weste, wohl aber einigen Dreck am Stecken hat. Doch machen wir uns seinetwegen keine Gedanken. "Dem Reinen ist alles rein", hat schon Paulus versichert. Wer sich aber groß verfehlt, der hat - wie Christian Morgenstern ergänzt - auch große Quellen der Reinigung in sich.

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Aus: Das große Thaddäus Troll-Lesebuch
©: Vertrieb Thaddäus Troll

Die Kunst des Hustens

Studiert von Thaddäus Trolll

Das Husten gehört zu den nur bedingt vermeidbaren akustischen Lebensäußerungen. Durch den Hustenreiz ausgelöst, findet es meist zwangsweise statt. Indessen vermag der Geübte aus dem Drang eine Kunst, aus der Unwillkürlichkeit eine Kür zu machen. Wo aber aus dem Müsser ein Könner wird, da beginnt die Lebenskunst.
Laut Meyers Konversationslexikon ist Husten eine stoßweise und tönende Ausatmung unter krampfhaftem Schluss der Stimmritze. Die Ursache des Hustens beruht auf einer Reizung des in der Schleimhaut der Luftwege sich verbreitenden nervus vagus. Die Wirkungen des Hustens bestehen hauptsächlich in der gewollten Entfernung des den Husten verursachenden Reizes.
Die Kunst des Hustens wurzelt in der Tatsache, dass der Behustete nicht unterscheiden kann, ob ein Husten natürlich ist oder künstlich hervorgerufen wird.
Gleich einem Musikstück hat der Husten verschiedene Lautstärken, verschiedene Pausen und verschiedene Nuancen. Ein dumpfes und hohles Husten erfüllt die dramaturgischen Forderungen des Aristoteles an die Tragödie: Es erregt Furcht und Mitleid. In der Umgangssprache als 'Friedhofsjodler' bezeichnet, drückt ein solcher Husten aus: "Noch habt ihr mich, aber wartet nur, balde..." Damit erkennen wir ihm außer dramatischer auch eine gewisse lyrische Aussagekraft zu, den elegischen Grundton des memento mori, der auch in der Bezeichnung 'Letzte Grüße aus Davos' angeschlagen wird.
Haben wir uns so betragen, dass unsere Umwelt allen Grund hätte, böse auf uns zu sein, so vermag ein heftiger Anfall dumpfen und hohlen Hustens die Situation zu unseren Gunsten zu verändern. Das wird in zwei Opern demonstriert: in Verdis "Traviata" und in Puccinis "Bohème". Während eine hustende Carmen oder ein unter Keuchhusten leidender Lohengrin undenkbar sind, läutet in den besagten Opern der Husten das tragische Finale ein, bei dem auch Männer, die harte Getränke und harte Zigarettenmarken bevorzugen, zum Taschentuch greifen. Quittierten freilich die zuständigen Tenöre Violettas und Mimis letalen Husten mit der Feststellung: "Du hast auch schon besser gehustet", so würden die Zähren, die im Publikum über die Patienten fließen, rasch versiegen.
Aber nicht nur auf der Bühne, auch im Zuschauerraum ist der Husten virulent. Der Mann, der in der vierten Reihe die Pointen verhustet, wird von Komödianten und Kabarettisten mit Recht gefürchtet. Glücklicherweise kann auch echter Husten gespeichert werden, ist der Ausbruch des Hustens bis zu einem gewissen Grad manipulierbar. Zum Bratschensolo, bei Isoldens Liebestod oder wenn Jacques in "Wie es euch gefällt" den Monolog "Die ganze Welt ist eine Bühne..." spricht, wirkt eine Husteneinlage aus dem Parkett besonders stark, während sie im Getöse des Venusbergs im "Tannhäuser" oder im Duell zwischen Hamlet und Laertes untergeht. Bei Bruckner hustet sich's besser als bei Bach.
Der Husten bewirkt also nicht nur, wie das Konversationslexikon behauptet, eine Entfernung der Reize. Er ist eine akustische Demonstration, die vom Umweltgeschehen ab- und auf den Veranstalter der Demonstration hinlenkt. In dieser Funktion ist der Husten auch in die Umgangssprache eingegangen. Denken wir bei der Redensart "auf etwas husten" nicht an den Pointenmörder? Handelt es sich bei dem Mann, der "die Flöhe husten hört", nicht um jenen überklugen Diagnostiker, der Symptome feststellt, die gar nicht wahrnehmbar sind? Selbst in die Technik ist der Husten eingegangen: Der Motor hustet. Husten bedeutet durch Krankheit und Hinfälligkeit auffallen, sich durch quarrende, keuchende, rasselnde Geräusche bemerkbar machen, die an Stundenglas und Hippe erinnern.
Aber es gibt auch einen gelinden Husten, der keine letalen Aspekte eröffnet. So, wenn wir vor einer Pförtnerloge stehen, hinter der ein Herr sitzt, der uns wie einen mikroskopisch nicht mehr wahrnehmbaren Bazillus behandelt. Wer von uns wagte es da, amtlichen Unmut zu erregen, indem er gegen das Glas klopft! Ein kleines Hüsteln, das so tut, als sei es unbeabsichtigt einer Erkältungskrankheit entflattert, dieses im Gegensatz zum Schnarchen und Schmatzen dezenteste aller Körpergeräusche, sagt: "Halten zu Gnaden, ich bitte höflichst, Ihnen meine Bitte vortragen zu dürfen." Solches Hüsteln ist die bescheidenste Art der Demonstration einer Existenz.
Vergessen wir nicht das Husten, durch das bezweckt wird, Zeit zu gewinnen. Eine ungeschminkte Frage, die uns in Verlegenheit bringt - da kann nur noch ein Hustenanfall helfen, der entweder die Neugier des Fragers in Mitleid mit unserem Siechtum erstickt oder uns wenigstens die Zeit schenkt, die wir brauchen, um unseren Kopf geschickt aus der Schlinge zu ziehen.
Schließlich gibt es noch das meckernde Hüsteln, das Husten in Piano- bis Pianissimoform, das etwas Infames in sich hat, das Spott und Zweifel an den Äußerungen unserer Mitmenschen ausdrückt.
Wir sehen: Der Husten ist nicht nur ein medizinisches Phänomen; nicht nur, wie uns das Konversationslexikon weismachen will, ein Mittel zur Entfernung eines Reizes. Reizende Dinge oder gar Personen wegzuhusten - wer wollte, und wenn er es schon wollte, wer könnte es! Und wenn, dann doch nur solche, die sich vor Ansteckung fürchten. Wer indes die Kunst des Hustens beherrscht, dem wird es das Leben mit gewissen Erleichterungen lohnen, mit Früchten, die vom Baum der Hustenerkenntnis fallen.

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©: Vertrieb Thaddäus Troll

Ein flüchtiger Blick auf die Uhr

Riskiert von Thaddäus Troll

Eine Uhr ist ein Gegenstand, der die Frage beantwortet, welche Zeit es sei. Wie sehr uns das Thema beschäftigt, vermag nichts eindrucksvoller zu verdeutlichen als die Tatsache, dass sich drei von den sieben im Deutschen am häufigsten benützten Hauptwörtern mit ihm befassen. Es sind die Wörter Tag, Mensch, Mann, Geld, Frau, Jahr, Zeit. Wenn die Uhr auf die Frage nach der Zeit falsch Zeugnis ablegt oder gar die Auskunft verweigert, bringen wir sie zum Uhrmacher, der sie reguliert. Geht sie richtig, so hat die Stunde sechzig Minuten. Dennoch vergeht eine Stunde wie im Fluge, und die andere will kein Ende nehmen. Dem Glücklichen schlägt keine (fast Schiller, „Piccolomini“).

*

Schlag! Der kann einen treffen, wenn die Kirchturmuhr zu selbigem ausholt. Meine alte Bauernuhr - ich erstand sie vor Jahr und Tag in einem Trödelladen in Chur, wo man neben niedlichen Antiquitäten gebrauchte Zahnbürsten einhandeln konnte -, meine rotwangig blühende Wanduhr krächzt heiser wie ein altes Weib und falsch obendrein. „Nun schlägt’s aber dreizehn!“, frotzelt sie. Na, wenn schon! Kuckuck-Kuckuck ruft’s aus dem deutsch-amerikanischen Living room. Dreimal kräht der Hahn im Straßburger Münster, dessen berühmte Kunstuhr, 1352 erstmals in Gang gesetzt, ein großes Welttheater mit Sonnenpferden, Aposteln, mit Knochenmann und Erlöser präsentiert. Oder aber Big Ben in die deutsche Standuhr gebannt, große Terz, Prime, Quart, Westminster-Music. Oder ein maritimer Glasenschlag. Summ-summ-summ - das ist der Weckerzwerg und nicht das Bienchen, denn er verfügt über eine batteriegespeiste Summenergie.

*

Energie spendet auch die Sonne. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil der ersten Uhr, die um 600 v.Chr. von einem Babylonier namens Berosus erfunden worden sein soll. Die Urahnin der Chronometer besteht weiterhin aus einem senkrecht aufgestellten Stab und seinem Schatten. Das Zifferblatt kann auch ein Gärtner aus Stiefmütterchen arrangieren. Bis ins 15. Jahrhundert hinein waren Sonnenuhren fast die einzigen öffentlichen Uhren. Wenn die Sonne unterging, blieben sie stehen. Dann sprang der Nachtwächter ein.

*

Automatische Uhren sind praktischer. Sie können auch schön sein. Aber schöne Uhren sind nicht immer praktisch. Alte Uhren sind oft wunderschön, meist jedoch zart und ein bisschen verschusselt. Auf dass der Messingleib des flötenden Epheben nicht im Staub ertrinke, stülpt man über die Empire-Uhr den Glassturz. Wenn das Rokoko-Ührchen aus Dresdner Porzellan vom Kaminsims stürzt, geht es in Scherben. Die Standuhr aus deutscher Eiche ist doch stabiler. Auch schön, wenn das Perpendikel dem unterhalb röhrenden Hirsch um die Nüstern walzt. Auf die Frage, wie Nachbars wohnen, zeichnete Minz mit frechen Kinderfingern zwei abwärts auseinanderfließende Schnörkel in die Luft: „So ‘ne Uhr!“ Aha!

*

„Ich trage, wo ich gehe, stets eine Uhr bei mir“, sang Carl Loewe. So ‘ne Uhr vielleicht? Der Katalog der Chikagoer Firma Montgomery Ward aus dem Jahre 1895, vor einiger Zeit in vorzüglichem Neudruck erschienen, präsentiert Holzschnitte von Taschenuhren mit üppig verziertem Gehäuse. Unmöglich, Loewe ist ja schon 1869 gestorben. Aber schön sind diese Uhren. In köstlichen Gravuren lebt edles Pferdegeblüt; bläht sich das Segel über stürmischer See; faucht die Dampflokomotive unter Blumen; schmusen zwei Pferde; winkt der Kirchturm; schwingt sich das Vöglein; wacht der Hund hoch über dem Kirchturm. Und zwanzig Jahre Garantie. Was gäben wir heute für Opas Taschenuhr, für Urgroßmütterchens zierliche Goldene, um sie einer Schönen an einer sehr langen Kette um den Hals zu hängen.

*

Wie sich die Zeiten und die Zeitmesser ändern - Dali versinnbildlichte es vor den weiten Horizonten seiner Traumlandschaften, indem er Uhren ganz gewöhnlicher Herkunft wie Teig an der Sonne zerlaufen ließ. Die Dampflok ist über die Uhr hinweggebraust, dafür entzücken uns heute Modelle, die gleichsam nur noch aus Werk bestehen. Am Handgelenk verraten sie den Astronauten. Denn über allen Gipfeln ist Unruh.

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©: Vertrieb Thaddäus Troll

Damen altern langsamer

Mit Erleichterung habe ich dieser Tage etwas von einer Wende gelesen, die sich in bezug auf die Einschätzung des Lebensalters zunächst am Horizont des Arbeitsmarkts abzuzeichnen scheint. Vielleicht muss man sich übermorgen nicht mehr ganz so genieren, wenn man die Dreißig hinter sich hat oder gar auf die Sechzig zugeht. Bis unsere Sprösslinge in die Jahre kommen, mag das derzeit so verpönte Alter mal wieder en vogue sein. Dann wird sich der vierzigjährige Greis nicht mehr als lebendiger Sperrmüll empfinden, sondern darf hoffen, es mit wachsenden Jahresringen zu etwas zu bringen.

Wenn man wie ich zwischen Sturm und Drang und Diät steht - und ich neige nun schon mehr der Diät zu -, vernimmt man solche Botschaft mit Frohlocken. In letzter Zeit habe ich mir öfter Gedanken über das Älterwerden gemacht, so im allgemeinen und im besonderen über die Ungerechtigkeit der Natur, die uns Männer so viel rascher altern lässt als die Damen. Sie halten das für ein Hirngespinst? Ich wollte es früher auch nicht glauben, aber je älter ich werde, desto mehr Beispiele stellen sich ein, die mir Gewissheit schaffen. Natürlich habe ich in dieser Sache keine Recherchen gemacht, da es sich nicht ziemt, sich für das Alter weiblicher Geschöpfe zu interessieren, sobald sie mehr als dreiundzwanzig Jahre auf dem Buckel haben. Aber da lese ich etwa im Feuilleton: „Die berühmte Aktrice Miriam K., bekannt von Bühne, Film und Fernsehen, begeht heute in aller Stille ihren 60. Geburtstag.” Ach, die K., eine herrliche Schauspielerin, die habe ich doch schon als Tertianer angebetet! Zum erstenmal sah ich sie als Candida; sie trug ein cremefarbenes Chiffonkleid mit einer Ansteckrose. Ich entsinne mich noch genau, mit welcher Reife und Mütterlichkeit sie die Rolle erfüllte. Dann fängt es unwillkürlich in mir zu rechnen an. Damals dürfte die K. eine gute Dreißigerin gewesen sein, während ich etwa fünfzehn Lenze zählte. Heute sind wir nur noch zwei Jahre auseinander. Ist das nicht seltsam? Immer öfter begegne ich prominenten Jubilarinnen, deren Lebensuhren offenbar anders gegangen sind als die meine. Ist es heute die K., so ist es morgen eine Opernsängerin, ein Filmstar oder eine Diseuse. Einst waren sie doppelt so alt wie ich, inzwischen scheinen wir gleichen Jahrgangs. Bald werde ich sie überholt haben, der Abstand zwischen uns wird sich wieder vergrößern, wenn ich auch nicht mehr doppelt so alt werden dürfte wie sie. Eines Tages aber könnten sie meine Töchter sein.

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©: Vertrieb Thaddäus Troll

Das Urteil des Paris

Von Thaddäus Troll

Aphrodite tupfte sich ein wenig „Mon Espoir” hinters Ohrläppchen, bestieg einen unruhig stampfenden Zentauren und schäkerte mit ihm, als er sie trabend durch die elysischen Gefilde trug. Recht spät kamen sie zum Café Heureka, wo die Kolleginnen Hera und Pallas Athene schon auf der Terrasse ihren Nektar tranken.
„Haben Sie gehört? Sie duzt sich mit ihm”, zischelte Hera zu Pallas und nahm ihr Lorgnon auf die spitze Nase. „Dieses Dekolleté - eine Person ist das!”
„Wenn auf den Olympischen Spielen der Geist bewertet würde, bekäme die auch keine Goldmedaille”, sagte Pallas maliziös, denn sie war stolz darauf, dass sie bei Professor Sokrates promoviert hatte.
Aphrodite begrüßte die Kolleginnen und bestellte einen Eisnektar und eine Ambrosiatorte. Die Damen plauderten über Kollegen, Bekannte, Kleider und Dienstboten. Hera fand die Preise der Weberei Geschwister Parzen skandalös, und Pallas sprach lobend über Xanthippe, wie Frauen gerne über andere lobend sprechen, die von der Natur nicht allzu reichhaltig mit äußeren Vorzügen ausgestattet sind. „Eine reizende Frau, nicht hübsch, aber klug und häuslich, schlicht und vornehm. Sie trägt einen Knoten wie ich.”
Aphrodite beklagte sich über Hermes, den olympischen Boten. „Er erlaubt sich mir gegenüber Freiheiten, die unerhört sind.”
„Er denkt eben, erhört zu werden”, sagte Hera boshaft. „Männer erlauben sich immer die Freiheiten, die Frauen ihnen zugestehen. Gegen mich benimmt er sich tadellos.”
„Na ja”, meinte Aphrodite und schaute Hera mit leicht nach unten gezogenen Mundwinkeln an.
In diesem Augenblick kam die Göttin der Zwietracht am Tisch vorbei und warf einen goldenen Apfel mit der Aufschrift „Der Schönsten” auf die Marmorplatte. Hera nahm den Apfel an sich und rief der unedlen Spenderin ein „Vergelt's Zeus!” nach.
„Aber erlauben Sie mal, der Apfel ist doch an mich adressiert”, sagte Pallas.
„Die Damen irren, er gehört selbstverständlich mir!” rief Aphrodite und griff nach dem Apfel.
Bald entstand ein solcher Lärm, dass der Geschäftsführer kam. „Meine Damen, ich muss doch sehr bitten. Der Ruf unseres Hauses...” Doch die Göttinnen ließen ihn nicht zu Ende reden.
„Wollen die Damen nicht einen Schiedsrichter sprechen lassen?” riet der Geschäftsführer. „Mir selbst verbieten leider die Gepflogenheiten unseres Hauses, mich in Meinungsverschiedenheiten der Gäste einzumischen.”
„Einen Schiedsrichter!” riefen die drei olympischen Damen, und da gerade der Hirte Paris mit seiner Schafherde die Straße herabkam, ließen sie ihn kommen.
„Treten Sie ruhig näher, junger Mann, und stehen Sie bequem. Können Sie Schiedsrichter spielen?” fragte ihn Hera.
Paris rieb sich sein stoppliges Kinn. „Ich bin zwar selbst Fußballer und habe in dem Match Sparta gegen Syrakus um den Cup der Antike Verteidiger gespielt - aber Schiedsrichter - nee...”
„Es handelt sich hier nicht um einen Vulgärsport, sondern um eine Schönheitskonkurrenz”, fiel ihm Pallas ins Wort. „Sie sollen der Schönsten von uns dreien diesen goldenen Apfel geben.”
Paris stand flegelig da und kratzte sich am Kopf; er war so verlegen, wie Männer zu sein pflegen, wenn sie in Liebesdingen zu einer Entscheidung gedrängt werden. „Eine ist doch so schön wie die andere. Warum wollen denn die Damen das wissen?”
„Nur so aus Daffke”, sagte Aphrodite, denn sie liebte bisweilen den Jargon.
„Mann, seien Sie nicht so feige, entscheiden Sie sich!” rief Pallas ungeduldig.
„Hören Sie mal gut zu”, redete ihm Hera ein. „Ich mache Sie gleich darauf aufmerksam, dass ich mit Zeus, der auch Ihr direkter Vorgesetzter ist, verheiratet bin. Sollten Sie mir den Apfel zuerkennen, so bin ich bereit, ein gutes Wort bei ihm einzulegen. Sie können durch unsere Beziehungen was werden. Vielleicht beim Fernsehen. Die BBC will die 'Ilias' verfarbfilmen und sucht einen Naturburschen für die Rolle des Ajax. Das wär 'ne Rolle für Sie. Also urteilen Sie ganz objektiv und geben Sie mir schon den Apfel!”
„Aber meine Beste, das ist ja Beeinflussung!” protestierte Pallas, und ihre Stimme überschlug sich.
„Den Apfel bekommt doch die Schönste”, sagte Aphrodite.
„Den Apfel bekomme ich!” befahl Hera.
„Bei allem Wohlwollen - da können Sie doch wirklich keinen Anspruch darauf erheben, meine Gnädigste. Sie haben zwar Herzensbildung, aber bei Ihrer etwas fülligen Figur...”, zwitscherte Aphrodite und setzte hinzu: „Aus gutem Grund ist Juno rund!”
„Ich bin die Göttin der Weisheit”, stellte sich Pallas vor. „Es ist der Geist, der sich den Körper baut, sagen schon die jungen Römer. Der Apfel gehört also unstreitig mir. Sollten Sie ihn mir zuerkennen, so gebe ich Ihnen Weisheit. Ich lasse Sie vielleicht Amerika entdecken. Oder die Atombombe erfinden. Oder den Erreger der menschlichen Dummheit. Auch mit Memoiren können Sie viel Geld verdienen und etwas auf die hohe Kante legen.”
„Ich bin die Göttin der Schönheit”, empfahl sich Aphrodite und zeigte ein Stückchen Bein. „Welcher anderen soll der Apfel gehören als mir! Also entscheiden Sie sich ganz unvoreingenommen und geben Sie ihn gleich her! Als Lohn sollen Sie eine gute Partie machen - die schönste Frau der Welt soll die Ihre werden!”
Da fuhr Hera auf. „Sie, Sie und den Apfel bekommen, Sie Person! Was sind Sie denn überhaupt für eine geborene? Herkunft dunkel, was? Die Schaumgeborene, dass ich nicht lache! Und Sie, ausgerechnet Sie mit Ihrer Vergangenheit wollen den Apfel!”
„Aber verlieren Sie doch nicht die Kontenance”, hauchte Aphrodite und wurde grün vor Ärger. „Zorn macht alt und hässlich! Und Sie mussten sich über Ihren Herrn Gemahl schon so viel erzürnen, meine Liebe. Ich erinnere nur an den Leda-Skandal und an die Sache mit Europa. Na, ich kann es Ihrem Gemahl nicht übelnehmen. Wer zu Hause nur trockenes Brot hat, nascht Pastete gern aus fremden Töpfen!”
Während sich Hera und Aphrodite zankten, lächelte Paris genießerisch. Die schönste Frau, dachte er, das ist was Handfestes, das ist ein Angebot. Über sein sommersprossiges Gesicht ging ein breites Grinsen, als er Aphrodite den Apfel reichte, die ihn mit einem triumphierenden Girren in ihre Krokodilledertasche schob.
„So weit kommt das noch!” rief Hera zornig und schlug auf den Tisch.
„Ober, zahlen!” verlangte Pallas.
Aphrodite schnalzte kapriziös mit den Fingern und zündete sich eine Zigarette an.
Als am Abend Hera, immer noch zornbebend, in den Palast ihres Mannes kam, saß der gerade über einem Kreuzworträtsel. „Prometheus, Feuer!” rief er wütend, denn die Pfeife war ihm ausgegangen, und er suchte vergeblich eine Novelle von Storm mit acht Buchstaben, von der er natürlich nichts wissen konnte, denn „Immensee” war ja damals noch nicht verfilmt. So passte die Erzählung seiner Gattin in seine schlechte Stimmung.
„Bei mir!” fluchte er. „Die Menschen sollen es büßen!”
Er klopfte seine Pfeife aus, so dass ganze Blitzbündel erdwärts fuhren, und setzte den Trojanischen Krieg auf den Dienstplan der Menschheit.

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©: Vertrieb Thaddäus Troll

Prosit Jahrgang 1914!

Liebe Altersgenossen vom Jahrgang 1914, von den Damen galanterweise abgesehen - wir können in diesem Jahr auf die Frage »Haben Sie es zu etwas gebracht?« selbstbewusst antworten: »Ja, zu einer Liegenschaft!« Denn hinter uns liegen fünfzig Lebensjahre. Das veranlasst mich, das Wort und das Glas zu ergreifen und eine Lippe für unseren Jahrgang zu riskieren, der mir wahrlich ein besonderer zu sein scheint. Denn schon in die Wiege wurde uns ein Milchbruder, besser: ein Magermilchbruder gelegt, der Weltkrieg Nummer eins, der sich einem Kuckuck gleich rascher entwickelte, der schneller groß wurde als wir, der uns die Schokolade wegfraß und uns die Graupensuppe ließ. Kaum hatten wir uns von dem schmerzlichen Verlust dieses sauberen Bruders erholt, kaum hatte uns unser Kaiser als Demokraten hinterlassen, da mussten wir der jungen Republik schon die erste ABC-Schützenhilfe leisten. Indessen war des Weltkriegs Tochter herangewachsen, die sich Inflation nannte. Inflation heißt Aufblähung. Aber nicht wir blähten uns auf, sondern die Währung, die nicht lange währte, sondern platzte und die Ersparnisse unserer Eltern unflätig in den Wind blies. Wir wuchsen dennoch heran, wir liebten erst Fußball, dann Jazz, dann Marlene Dietrich, später gleichaltrige Mädchen. Bejahrte Geschichtslehrer sagten uns, der Krieg sei der Vater aller Dinge, obgleich unser Jahrgang, biologisch gesehen, von Wassermann bis Steinbock noch Friedensware darstellte. Als wir anfangen wollten, selbständig zu denken, wurden wir von zwei Dingen daran gehindert. Ehe wir es fassen konnten, waren wir erfasst von der Liebe und von einem neuen Staat, mit dem kein Staat zu machen war. Die goldenen Jahre wurden braun, die Macht ward ergriffen und wir mit ihr. Zwölf unserer besten Jahre lang, die uns so erschienen, als seien es tausend, konnten wir nichts ausrichten, weil wir ausgerichtet wurden. Das Rüstzeug, das wir uns fürs Leben aneignen wollten, stammte aus verbotenen Büchern; die Schallplatten, die wir liebten, waren unerwünscht, und die Intelligenz, mit der ein paar von uns gestraft sind, war es auch. Wir lernten den Eintopf und den freiwilligen Zwang kennen. Wir wurden zum Arbeitsdienst und zu den Fahnen geeilt, und unser Jahrgang war der erste, dem die Ehre zweijähriger Wehrpflicht zuteil wurde. In großer Zeit wurden wir auf größere Zeiten vorbereitet, wir lernten warten und schießen und faulenzen, und als wir uns auf ein Privatleben freuten, organisierte das von unseren Vätern erkorene Staatsoberhaupt jene große Reisewelle in fremde Länder ohne Pass, ohne Rückfahrkarte und ohne Gewähr, aber mit Gewehr. Weil wir den ersten Weltkrieg noch nicht bewusst hatten genießen können, wurde uns ein zweiter geboten, der länger und totaler und verlorener als sein Vorgänger war. Wenn überhaupt, dann kamen wir nach dem misslungenen Endsieg ziemlich abgerissen nach Hause und wurden ins Büßerhemdchen gesteckt, auch wenn wir nur den glorreichen Dienstgrad eines Obergefreiten erreicht hatten.
Mitmarschiert, mitgelaufen, mitgewusst, mitgefangen, mitgehangen...


Die Fortsetzung dieses Rückblicks können Sie lesen, wenn Sie „Das große Thaddäus Troll-Buch” besitzen, in einer Bücherei oder von Freunden ausleihen oder gar versuchen, es noch käuflich zu erwerben.

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©: Vertrieb Thaddäus Troll

Alt-Bayreuther Alphabet

Alle Arien anders, als die alten Ahnen ahnten. Alle Akte achtlos albern. Am Altare ahmen arme Affen nimmermehr nach ar'scher Art. Anstand, Anmut atmen anderwärts. Ach, der arge Alberich! Ahndet Asen Aug um Aug! Auch den Autor, welcher auszog aus der
Ärgerlichen Ära, ändert nimmer
Bleicher Blender, blinder Blödler blühend Blech und blut'gen Blust. Da bleibt selbst die Begum betrübt sonder Begehren bebend im Bett besser in Beirut statt Bayreuth fern der bösen Buben billig Beginnen. Das Bein am Ball berichtet 'Bild' bissfest Boulez' baumelndes Bimbam im bibbernden Bass. Bitte ein Bier zum Butt! Bärtig beuen bärtige Barden den bumsenden Bären bissige Buhs und Bähs in die Bude. Bravo, braune Brüder, bremst das Gebrest! Brünnhildens brünstige Brüste breiten und brauen auf brennender Brücke in
C Cis und Ces cäsarisch. Ihre
Duften Düfte dämmen den dürftigen Durchfall. Du, die du die doofen Deppen, die dünnen Dicken durch Donners Deuchte dämonisierst, dreifach auf Draht dräuest dem Drachen, drosselst Druck nicht zu Dreck ...

Der vollständige Text kann beim Vertrieb Thaddäus Troll angefordert werden - gegen Honorar selbstverständlich.

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Über die Schwierigkeit, Schrift zu stellen

Sprachspielerische Gedanken von Thaddäus Troll

I
Die Sprache hat drei Funktionen. Sie kann
1. Gedanken vermitteln,
2. Gedanken verbergen,
3. Mangel an Gedanken bemänteln.

Die Sprache ist das Transportmittel für
a) Informationen,
b) Lügen,
c) Poesie;

die Grenzen zwischen diesen Begriffen sind bisweilen durchlässig, besonders zwischen a) und b) im Geschäftsleben und in der Politik.

II
Dient die Sprache als Material der Poesie, so fällt sie in das Gebiet der Kunst. Produzent von Kunst ist der Künstler. Ich möchte ihn so definieren: Ein Künstler ist ein Mann, der den Mut hat, die Produkte seiner Laune für verkäuflich zu halten.

Kunst kommt von können. Das Gegenteil davon ist Wulst, das von wollen kommt. Kunst wird mit Vorliebe mit sakralen Vokabeln vermählt: die heilige deutsche Kunst; Gott grüß die Kunst.

Das Kunstwerk ist ein Ergebnis künstlerischen Schaffens. Ein Kunststück ist eine Leistung, die Kunst erfordert. Also ist Kunststoff ein von Künstlern gestalteter Stoff und Kunsthonig ein von kunstsinnigen Bienen gesammeltes Nahrungsmittel.

III
Literatur ist Letternkunst, produziert vom Schriftsteller, der zur Familie der Steller gehört.

Der Weichensteller stellt Weichen.
Der Fallensteller stellt Fallen.
Der Schriftsteller stellt Schrift.

.....

Mehr wollen wir hier nicht preisgeben. Wer sich für die Fortsetzung und eine Veröffentlichung interessiert, hat keine Schwierigkeiten, sich an den Vertrieb Thaddäus Troll zu wenden. Er oder sie macht nur 'Klick' unter vertieb@thaddaeus-troll.de und teilt seine/ihre Wünsche mit.

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Der himmlische Computer

Dargestellt von Thaddäus Troll

Die weltweite Forderung, die Gesellschaft zu verändern, wirkte sich selbst im Paradies aus. Der Anspruch auf Mitbestimmung ging vom Mittelbau der Heiligen und Engel aus, die für gemäßigte Reformen eintraten; viel radikaler aber waren einfache Seelen, die, kaum vom Fegefeuer zur Himmelsreife geglüht, geradezu revolutionäre Ideen äußerten. Das Präsidium oben im Himmel reagiere autoritär, während es unten auf Erden die Zügel arg lasch schleifen lasse, seit die Menschen mit der Erfindung der Kernspaltung den Weltuntergang in eigene Verantwortung übernommen hätten und jederzeit in der Lage wären, mit Hilfe der gehorteten Nuklearwaffen Gottes Schöpfung in die Luft zu sprengen ...

Wie es weitergeht? Sehr spannend! Und das Ende ist überraschend!

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Rotkäppchen

In amtlichem Sprachgut beinhaltet durch Thaddäus Troll

Im Kinderanfall unserer Stadtgemeinde ist eine hierorts wohnhafte, noch unbeschulte Minderjährige aktenkundig, welche durch ihre unübliche Kopfbekleidung gewohnheitsmäßig Rotkäppchen genannt zu werden pflegt. Der Mutter besagter R. wurde seitens ihrer Mutter ein Schreiben zustellig gemacht, in welchem dieselbe Mitteilung ihrer Krankheit und Pflegebedürftigkeit machte, worauf die Mutter der R. dieser die Auflage machte, der Großmutter eine Sendung von Nahrungs- und Genußmitteln zu Genesungszwecken zuzustellen. Vor ihrer Inmarschsetzung wurde die R. seitens ihrer Mutter über das Verbot betreffs Verlassens der Waldwege auf Kreisebene belehrt. Dieselbe machte sich infolge Nichtbeachtung dieser Vorschrift straffällig und begegnete beim Übertreten des amtlichen Blumenpflückverbotes einem polizeilich nicht gemeldeten Wolf ohne festen Wohnsitz. Dieser verlangte in gesetzwidriger Amtsanmaßung Einsichtnahme in das zu Transportzwecken von Konsumgütern dienende Korbbehältnis und traf in Tötungsabsicht die Feststellung, daß die R. zu ihrer verschwägerten und verwandten, im Baumbestand angemieteten Großmutter eilend war. Da seitens des Wolfes Verknappungen auf dem Ernährungssektor vorherrschend waren, faßte er den Beschluß, bei der Großmutter der R. unter Vorlage falscher Papiere vorsprachig zu werden. Weil dieselbe wegen Augenleidens krank geschrieben war, gelang dem in Freßvorbereitung befindlichen Untier die diesfallsige Täuschungsabsicht, worauf es unter Verschlingung der Bettlägerigen einen strafbaren Mundraub zur Durchführung brachte ...

Aus: „Das große Thaddäus Troll-Lesebuch” (Auszug), Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1981

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Vom neuen Kalender

Da hängt er nun an der Wand, der Zeitgenosse des neuen Jahres, und schreibt uns das Datum vor. Er trägt noch einen dicken Blätterbauch mitten im kalten Winter. Wir sind ihm mit unseren guten Vorsätzen zuvorgekommen. Denn der Frühling der guten Vorsätze fällt in den Dezember. Sie blühen am üppigsten am Silvesterabend, aber selten tragen sie Früchte. Ihr Herbst beginnt mit dem Fall der ersten Kalenderblätter in den Papierkorb. Dann werden sie bis zum Jahresende in die Tiefkühltruhe gepackt.
Wir beladen den Kalender mit Hoffnungen und Ahnungen, und von Tag zu Tag, während sich Zukunft und Vergangenheit schneiden, verwandelt er unsere Zukunftsvisionen in gegenwärtige Gewissheit. Er teilt jedem seine Zeit zu, und wenn einer behauptet, er habe keine, so ist das eine Lüge, weil das Jahr und die Stunde für jeden gleich lang sind. Nur weiß keiner, wieviel er davon noch erleben wird. Chronos, der Gott der Zeit, ist der Vater des Kalenders. Er hält das Stundenglas, durch das der Sand rinnt, Zeichen der Vergänglichkeit, und die Hippe, die den Halm schneidet, das Lebendige zur Chronik macht. Mit der Anmaßung der Ewigkeit die Zeitläufte begleitend, verkörpert der Kalender die Daten. Datum heißt das Gegebene, das in der Vergangenheit Festgeschriebene, welches in der Zukunft ungewiss ist.
Der Kalendermacher macht den Kalender, aber nicht das Wetter. Er ist nicht allwissend. Der ewige Kalender vermag von jedem Datum vorauszusagen, auf welchen Wochentag es fällt. Manch einer lügt wie ein Kalendermacher. Der Hundertjährige Kalender taugt weniger zum Wetterpropheten als ein Laubfrosch. Er vermag nur die Tage, Wochen, Monate, Jahre vorauszubestimmen, nicht aber das Geschehen. Er verkörpert das Fließen, die Vergänglichkeit. Auch in seiner äußeren Form stellt er den Wandel dar. War einstmals der Kalender ein nüchterner Geselle, ein Handbuch, das dem Bauern Märkte, Messen, Brut- und Trächtigkeitsdauer kundtat, mit harmlosen Geschichten, Wetterregeln, Volksweisheiten und erbaulichen Sprüchen aufwartete, so hat er sich heute zum Schmuckstück der Buchdruckerkunst gemausert, hat sich auf Flora, Fauna, Kochrezepte, Pas de deux, Grafik, Poesie und weiß nicht was spezialisiert. Eine Kalenderindustrie hat sich entwickelt, die schon ein Jahr im voraus auf vollen Touren läuft. Auch die Bauernregeln, notwendiger Bestandteil nostalgischer Kalender, sollte man heute weiter fassen.
Der April ist nicht zu gut / er schneit dem Bauern auf den Hut. Ergänze: Drum wehr des Schicksals blinden Lauf / und lass die Winterreifen drauf. Winterreifen wichen dem Wonnemond, Wonnemond gipfelt in der Regel: Ist der Monat Mai zu Ende, zahlt Hoechst die höchste Dividende. Und schließlich zum Jahresabschluss: Vor des Dezembers Eiseswut / wahrt Frostschutz dich im Kühler gut.
Aber das ist Schnee vom vergangenen Jahr, denn inzwischen haben die Silvesterglocken den zum Skelett abgemagerten alten Kalender zu Grabe geläutet. Und während wir den dickbäuchigen neuen aufblättern, sind die Kalendermacher schon emsig am Werkeln, den für das nächste Jahr maßzuschneidern. Für sie ist der heurige das, was für uns der vergangene: ein alter Hut.

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